Vier Wochen China klingen nach jeder Menge Sightseeing, wunderbarer Natur, Kultur, Entspannung, und viel exotischem, tollem Essen. Tatsächlich war es jede Menge Arbeit, ein wenig Sightseeing, kaum Natur, kaum Kultur, keine Entspannung und viel exotisches, tolles Essen.
Chongqing gilt als die Stadt mit der höchsten Einwohnerzahl der Welt (28 Mio.). Diese „Stadt“ ist allerdings auch etwa so groß wie Österreich. Fun Fact: eine der Partnerstädte von Chongqing ist Düsseldorf! Und einer der „Stadtteile“, oder auch Bezirke, ist Changshou. Mit 800.000 Einwohnern auch nicht gerade klein, aber vom Feeling her doch eher provinziell. Daher wundert das Country Garden Phoenix Hotel ein wenig, denn pompöser geht es kaum. Dennoch verirren sich hier wohl eher selten Touristen hin. Obwohl meine Kollegen teilweise schon seit einigen Monaten hier waren, haben wir dennoch jedes Mal Aufsehen erregt, wenn wir auf der Straße unterwegs waren. Und wir waren jeden Abend unterwegs. Über die Zeit hatte sich ein „Pool“ an Restaurants ergeben, die wir in unregelmäßiger Reihenfolge aufgesucht haben. Hauptsächlich gab es den von hier stammenden (gerne scharfen) Hotpot und viel (scharfe) Szechuan-Küche. Und Dumplings, in allen möglichen verschiedenen Varianten.
Zwar wurde in den wenigsten Restaurants Englisch gesprochen, aber mit Händen und Füßen und ein paar chinesischen Brocken unsererseits (die Namen unserer Lieblingsgerichte konnten wir irgendwann ganz gut aussprechen), ging das ganz gut. Im Zweifelsfall haben wir einfach auf den Nachbartischen geschaut, was lecker aussah, und dort drauf gezeigt. Die Leute an den Nachbartischen fanden das in der Regel großartig und haben noch Empfehlungen dazugegeben, bzw. direkt bei der Bedienung Bestellungen für uns aufgegeben.
Darüber hinaus wurden wir auch immer wieder fotografiert und gefilmt. Irgendwann gewöhnt man sich dran, aber ich hätte es netter gefunden, vorher zumindest gefragt zu werden, bevor Videos von mir ins Internet gestellt werden. (Die uns dann von einer amüsierten Mitarbeiterin des Kunden vorgespielt wurden. Sie hatte den Link von einer Freundin geschickt bekommen, mit den Worten „du kennst doch ein paar Europäer, sind die das?“)
Montags bis samstags hieß es also Hotel – Baustelle – Restaurant – Hotel. Die Sonntage habe ich dann genutzt, zumindest etwas von der näheren Umgebung zu sehen.
Puti
Der Hausberg von Changshou ist der Puti. Auf dem Gipfel befindet sich eine Klosteranlage, deren erste Gebäude um das Jahr 1000 herum errichtet wurden. Die stehen jetzt allerdings nicht mehr, sondern haben immer wieder neuen Gebäuden Platz gemacht (zuletzt 2014). Den größten Teil des Anstiegs macht man über die „Treppen der 100 Jahre“. Auf den Treppenstufen und auf jedem Absatz stehen Sprüche und Geschichten, die dazu animieren sollen, ein gesundes und friedfertiges, einhundertjähriges Leben zu leben.
Oben angekommen, habe ich mich tatsächlich auch ziemlich nah an den 100 Jahren gefühlt!
Trotz Nieselregen war es so drückend warm, dass jegliche körperliche Betätigung gefühlt doppelt so anstrengend war wie normal. Leider hat das Wetter auch dafür gesorgt, dass der Ausblick deutlich weniger lohnenswert war, als erhofft. Aber die Tempelanlage selber, mit ihren steinernen Skulpturen, war schon interessant zu sehen.
Geisterstadt Fengdu
Eine der Sehenswürdigkeiten der Region ist die Geisterstadt von Fengdu. Fengdu ist ebenfalls ein Bezirk von Chongqing, etwa 100 km von Changshou entfernt (immer den Yangtze entlang). Die Geisterstadt besteht aus einer Ansammlung von kleinen Tempeln und Gärten, die Wege sind gesäumt von Geister- und Götterfiguren. Die Anlage wird über die „Brücke der Hilflosigkeit“ betreten. Der Mythos sagt, dass man nach dem Tod über diese Brücke gehen muss, um beurteilt zu werden. Wer ein schlechtes Leben gelebt hat, wird hier von Dämonen von der Brücke gestoßen, gute Menschen dürfen weiter zum zweiten Test. Dieser besteht in der Beurteilung durch Yama, den König der Hölle, am „Pass der Geister-Folterung“. Und zum Abschluss muss der Tote drei Minuten die Minuten auf einem Bein auf einem bestimmten Stein stehen (der bestimmt auch einen besonderen Namen hat), was natürlich nur einem rechtschaffenen Toten gelingt, der dann wiedergeboren wird. Schafft ein Toter einen der Tests nicht, wird er auf ewig in der Hölle gefoltert.
Und wie das geschieht, wird in der Geisterstadt auf illustre Weise in Bildern und Skulpturen dargestellt. In dieser skurril-düsteren Umgebung haben der Regen und der Nebel ganz nicht gestört, sondern der Atmosphäre sogar geholfen.
Während ich chinesische Gärten oder Skulpturen in Deutschland bisher immer für seltsam kitschigen Abklatsch gehalten habe, habe ich hier festgestellt, dass die Tempelanlagen hier wirklich seltsam kitschig sind…
Chongqing
Einen Sonntag konnten wir unsere Kollegin Emily überreden, mit uns mit dem Zug nach Chongqing zu fahren – also in die „Kernstadt“. Sie kommt aus Shanghai und war ebenso wie wir noch nie in Chongqing gewesen. Als Fremdenführerin konnte sie daher zwar nicht dienen, aber alle Tickets kaufen, Wege erfragen, auf dem Markt für uns handeln und im Restaurant bestellen. Das hätten wir zwar sicher alles auch irgendwie alleine hinbekommen, wir wären ohne sie jedoch abends in Chongqing gestrandet.
Denn als wir schon im Taxi zum Bahnhof saßen, hatte Emily per Handy festgestellt, dass alle verbleibenden Züge des Tages ausgebucht waren. Nach einiger Diskussion und Beratung mit dem Taxifahrer fuhr dieser uns zum Bushof, wo wir in den Langstreckenbus nach Changshou stiegen. Interessant: es gibt keine festen Abfahrtszeiten, der Bus fährt los, wenn der Busfahrer meint, dass er voll genug ist damit sich die Fahrt lohnt. Zum Glück mussten wir nur gut vierzig Minuten bis zur Abfahrt warten. Die Busfahrt selber hat dann nochmal etwa zwei Stunden gedauert. Noch während der Wartezeit wurden der eine Kollege von seinem Sitznachbar angesprochen, der uns von einem Restaurantbesuch kannte (also, der uns einen Abend im Restaurant hatte sitzen sehen) und der ganz begeistert war, jetzt mit uns im Bus zu sitzen. Wie gesagt, Changshou hat 800.000 Einwohner…
Wir haben natürlich nur einen Bruchteil der Stadt gesehen, aber das war beeindruckend genug. Die zahlreichen, nah beieinanderstehenden Hochhäuser dominieren die Stadt, dazwischen gibt es den ein oder anderen kleinen Tempel, alte Häuser und große Plätze an denen sich die Menschen treffen um z.B. gemeinsam Musik zu machen, oder einfach so miteinander Zeit zu verbringen. Einen der Tempel der sich zwischen die Hochhäuser quetschte, haben wir auch besucht. Fotografieren war dort nicht erwünscht, der Eindruck war sehr ähnlich zu den Tempeln in Fengdu.
Ein definitives Highlight ist die Seilbahn die mitten durch die Hochhäuser und dann über den Yangtze fährt. Am anderen Ende der Bahn gibt es nicht viel zu sehen, außer dem Ausblick über die versmogte Stadt. Aber das könnte sich bald geändert haben, von den vielen Baustellen ausgehend.
Ebenfalls sehenswert ist Hongyadong, ein Markt der sich über mehrere Etagen kleineren und größeren alten Häusern erstreckt, die sich fast organisch in den Berghang am Ufer des Yangtze schmiegen. In den verwinkelten Gängen die sich durch die Häuser ziehen, gibt es jede Menge kleiner Kunsthandwerkerläden und Restaurants. Ein toller Kontrast zu den Einkaufstempeln im Stadtteil Jifangbei.
Fazit
Vor diesem Einsatz hatte ich China als Reiseland überhaupt nicht auf dem Schirm. Nachdem ich jetzt aber einen kleinen Einblick bekommen habe, bin ich sicher, dass es nicht das letzte Mal in China war. Abgesehen davon, dass es recht wahrscheinlich ist, dass ich für die Firma noch das ein- oder andere Mal auf eine Baustelle in China fahren werde, habe ich es jetzt auch als Urlaubsziel im Hinterkopf. Und das nicht nur für die Klassiker wie die chinesische Mauer und die Terrakotta-Armee…