Der Jahreswechsel heisst in Schottland nicht „Silvester“ sondern „Hogmanay“. Während in Edinburgh ein großes Straßenfest mit 100.000 Leuten gefeiert wird, geht es in Glasgow auf den Straßen ruhiger zu. Nicht jedoch in den Pubs.
Ich habe die Feier zum Jahreswechsel im Waxy O’Connor’s verbracht. Der Laden ist riesengroß mit vielen Nischen, Zwischenetagen, diverse Bars… Anfangs verläuft sich die Menge hier noch etwas, später wird es brechend voll. Die Musik ist gut. Das „Rock Lock In“ hält musikalisch was es verspricht. Die ersten vier von mir identifizierten Bands: Metallica, AC/DC, Volbeat, Marilyn Manson.
Die Schottinnen haben sich aufgebrezelt. Die Kleider sind kurz und eng, (Hosen finden nicht statt), die Ausschnitte reichen bis zum Bauchnabel und es wird grob geschätzt pro Person eine Tonne Schminke im Gesicht getragen. Gerne mit Goldflitter im Gesicht oder zwischen den Brüsten. Es scheint keine Brillenträgerinnen in Schottland zu geben.
Die Männer sind das absolute Gegenteil dazu. Jeans, T-Shirt, evtl. Hemd. Das war’s. Allerdings mit Glitzer im Vollbart. Vereinzelt gibt es Kiltträger.
Nachdem ich ein paar Mal durch den Laden gelaufen bin um die verschiedenen Räume zu begutachten, habe ich es mir in der „McTurks Bar“ gemütlich gemacht und die Szenen des Abends auf mich wirken lassen.
Pre Midnight
22:15 Uhr: Laut DJ läuft „Ramschtahn“ mit „Dü Hascht“. Anscheinend sind nicht nur die Schotten für Deutsche schlecht zu verstehen, das beruht wohl auf Gegenseitigkeit…
22:20 Uhr. „Ramschtahn“ wurde durch eine Techno-Version eines Traditionals abgelöst. Es wird getanzt.
22:25 Uhr. Der Spuk ist vorbei. Es läuft wieder gute Musik. Die fünf Franzosen in der Ecke hinter mir spielen ein Geschicklichkeitsspiel mit einer sich drehenden Münze. Wer die Münze nicht am drehen halten kann, muss anscheinend einen Schnaps auf Ex trinken. Ihre Schlagzahl erhöht sich rasant…
22:30 Uhr. Es läuft ein Traditional im 3/4-Takt. Es wird wieder getanzt.
22:33 Uhr. Kid Rock. Der DJ verwirrt mich.
22:40 Uhr. Die Franzosen haben ihre Münze verloren und kriechen mit Handylicht unterm Tisch und den Bänken herum.
22:42 Uhr. Die Münze wurde gefunden. Sie singen. Vermutlich auf französisch, es sind keine Wörter zu verstehen.
22:45 Uhr. Wieder Ramstein.
23:00 Uhr. Das Buffet ist eröffnet. Und es gibt einen freien Whisky für jeden (ein 22jähriger Macallan!). Den soll man allerdings bis Mitternacht aufbewahren. Ich bezweifel das das funktioniert…
23:10 Uhr. Ich bin am Buffet angekommen. Es gab Pommes und Nachosalat. Was auf den übrigen Platten war, weiß ich nicht. Es ist alles weg.
23:15 Uhr. Der DJ hat anscheinend gewechselt. Es läuft mehr Metal und weniger seltsames Zeug. Der Glitzer in den Gesichtern wird mehr. Bei Männern und Frauen gleichermaßen. Das Buffet wurde wieder aufgefüllt. Ich konnte nicht schnell genug gucken, womit. Ist schon wieder alles weg.
23:20 Uhr. Ansage des DJs: „It’s gonna be a party ALL NIGHT LONG! Until TWO O’CLOCK!“
23:30 Uhr. Es sind Sandwiches. Anscheinend ist die Meute gesättigt.
23:45 Uhr. Ich hab meinen Macallan an der Bar abgeholt. Wir warten gespannt auf die „Bells“. Die Franzosen sind verschwunden.
23:59 Uhr. Es läuft „The final Countdown“. Alle stehen.
Post Midnight
00:00 Uhr. Alle rufen laut „Happy New Year!“. Es gibt keine Umarmungen oder Küsse. Es läuft eine rockige Dudelsack-Version von „Auld Lang Syne“ gefolgt von „Loch Lomond“. Es wird gesungen, gejohlt, geklatscht und gemeinsam im Kreis gehüpft.
00:07 Uhr. Alle sitzen wieder.
00:10 Uhr. Das WLAN bricht zusammen.
00:25 Uhr. Es ist deutlich leerer geworden. Der DJ spielt wieder normale Musik, jetzt wird allerdings laut mitgesungen.
00:40 Uhr. Der Luftgitarren-Wettbewerb beginnt. Der DJ entscheidet absolutistisch wer ins Finale kommt. Die Leute drehen völlig am Rad. Schubsen sich gegenseitig weg, um möglichst weit nach vorne zu kommen und dem DJ aufzufallen. Wirklich tolle Showeinlagen sind nicht dabei.
00:55 Uhr. „You, Lady in the green dress – I dont know what you drank tonight, but you’re in the final!“ Ich weiß auch nicht, was sie getrunken hat, aber sie hat sich das Finale verdient.
01:00 Uhr. Es gewinnt allerdings „the Lady in the black dress“. Sie bekommt eine Jack Daniels E-Gitarre und weint vor Freude.
01:15 Uhr. Die Schotten sind offensichtlich nicht gewöhnt, länger als bis um eins zu feiern. Der Laden hat sich deutlich geleert. Meine neuen Bekanntschaften sind alle gegangen, also mache ich auch Schluss und gehe zurück ins Hotel.
Fazit: Ich wollte dieses Jahr etwas anderes, als wie üblich mit ein paar Freunden gemütlich zu Hause zu sitzen, zu essen und zu schnacken, Dinner for One zu gucken und um Mitternacht lautstark Geld in den Himmel zu pulvern. Das habe ich gekriegt. Es hat sich allerdings weniger nach Silvester angefühlt, sondern mehr nach einem einfachen Partyabend in einem riesen Pub. Nicht, dass mir Dinner for One oder ein Feuerwerk gefehlt hätten, aber etwas mehr „Besonders“ hätte es schon sein können…
Ich kann mir gut vorstellen, nächstes Jahr Silvester (oder Hogmanay oder wie dann auch immer) wieder im Ausland zu feiern. Vielleicht denke ich rechtzeitig daran, Edinburgh zu buchen. Oder vielleicht irgendwo, wo es wärmer ist?